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workshop_hierarchien

Unterschiede

Hier werden die Unterschiede zwischen zwei Versionen gezeigt.

Link zu der Vergleichsansicht

workshop_hierarchien [2020-06-05 08:24]
januu angelegt
workshop_hierarchien [2020-06-10 19:37]
pwsaasen
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-{{workhsops:​hierarchnie_workshop_flyer.pdf|Flyer zum Workshop}}+====== Machtgerangel,​ Apparate, Vereinnahmung - hört das denn nie auf? ====== 
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 +==== Ein Workshop zur Steigerung der Sensibilität und Immunität politischer Bewegungen gegen die ewige Hierarchisierung ==== 
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 +Im Workshop geht es um die Frage der Hierarchisierung von politischen Bewegungen und die Etablierung der Akteuris in ihnen. Er besteht aus drei oder (auf Wunsch) mehr Modulen, die (z.B. an einem oder zwei Tagen) nacheinander folgen. 
 +Jeder Teil besteht aus einer Kleingruppenphasen und dem Zusammentragen in der Gesamtrunde (oder auf andere Weise). Zu Beginn werden Fragekarten vorgestellt und weitere Fragen gesammelt, die dann jeweils zu einer Kleingruppe (nach Interesse werden). Kleingruppen sollten drei oder höchstens vier Personen umfassen. 
 + 
 +Erster Teil: Wie und wodurch entstehen Hierarchien in politischen Bewegungen?  
 +Die Fragen: 
 +  * Welche Unterschiede bestehen schon ganz am Anfang - also wenn sich bislang ​ fremde Menschen erstmals in einer Runde aufeinander treffen? (Zurichtung,​ unterschiedlich reich, redegewandt,​ Privilegien,​ Erfahrung, Kontakte ...) 
 +  * Was bewirkt die Praxis, dass in der Regel Einzelne oder Vorbereitungsgruppen einladen oder vorplanen?​ 
 +  * Welche Hierarchien bilden sich wodurch im Laufe des Zusammenagierens heraus? (z.B. Gewohnheiten der Aufgabenverteilung,​ des Ablaufs...) 
 +  * Welche Hierarchien entstehen durch Einflüsse von außen? (Verantwortlichkeiten,​ Verlockungen,​ Erwartungen,​ Repression ...) 
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 +Zweiter Teil: Eliten, Apparate, Seilschaften und ihre Arbeitsweise 
 +  * Wie wird innerhalb von Treffen miteinander agiert? Mit welchen Methoden lassen sich Begegnungen zwischen Menschen, Infoflüsse und Abläufe steuern? 
 +  * Welche "​Rollen"​ bei Gruppentreffen und in der sonstigen Gruppenarbeit schaffen Privilegien und überlegene Handlungsmöglichkeiten?​ 
 +  * Welche Bedeutung und Wirkung haben Begriffe, die kollektive Meinung zu benennen scheinen: Konsens, Plenum, Sprecher*innen,​ Koordinierungsgruppe usw. 
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 +Dritter Teil: Reflexionen auf unsere eigenen Strukturen  
 +  * Wie organisieren wir einen gleichberechtigten Zugang zu Ressourcen?​ 
 +  * Wie organisieren wir Außenkontakte und Meinungskundgabe nach außen? 
 +  * Wie organisieren wir den Zugriff auf Steuerungsmitteln (Infoflüsse von außen und intern, Moderation, Vorbereitung von Treffen usw.) und Privilegien?​ 
 +  * Wie organisieren wir Treffen, Planungsprozesse und Entscheidungen?​ 
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 +Dieser Part würde jeweils angepasst an die Zusammenhängen,​ in deren Rahmen der Workshop stattfindet. Im Mittelpunkt stehen Erfahrungen,​ Ängste und Ideen der Teilnehmenden und Berichte aus ihren bisherigen Aktivtitäten und Organisierungen. Teil sollte der Austausch von Möglichkeiten zur Bewahrung und Stärkung von Unabhängigkeit und Handlungsfähigkeit sein - von der Selbstorganisierung in Alltag und Politik bis zur Strategie der direkten Aktion als Druck von außen statt Gang in oder durch die Institutionen. Am Ende können Methoden, die keine oder nur flache, am besten dann zusätzlich rotierende Hierarchien in der Zusammenarbeit überlegt werden. 
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 +Weitere Teile sind möglich je nach Wunsch und "​Problemdruck"​ der Teilnehmenden oder derer, die zu diesem Workshop einladen. Für die ersten beiden Teile werden kleine Inputs (in Thesenform) vorbereitet,​ die dann in der Gesamtrunde und/oder Kleingruppen besprochen werden können. Der dritte Teil lebt aus den Schilderungen der Beteiligten heraus.'​ 
 +Der Ablauf des Workshops kann sich zur besseren Vorstellung an der zeitlichen Reihenfolge all dieser Dinge orientieren. 
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 +===== Thesen zum Workshop „Machtgerangel,​ Apparate, Vereinnahmung – hört das denn nie auf?“ ===== 
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 +**Einheitliche Label führen auf Dauer immer zu Kontrolle und Hierarchien** 
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 +Organisationen und Bewegungen, die gemeinsame Label führen und nach außen zeigen, rutschen auch dann, wenn sie das eigentlich nicht wollen, schnell in Debatten um Kontrolle oder direkte in hierarchische Umstrukturierungen. Der Grund ist einfach und liegt in der Verwendung einheitlicher Label selbst. Diese werden dann nämlich von unterschiedlichen Teilen verwendet, zwischen denen aber zumindest in Details oder geringe Differenzen in inhaltlichen Positionen und Aktionsstrategien bestehen. Früher oder später tritt ein Fall ein, wo die einen die Aktivität oder Verlautbarung der anderen nicht mittragen wollen. Sie werden dann überlegen, ob sie sich öffentlich distanzieren und ob sie interne Strukturen fordern, die eine Wiederholung vermeiden. Beides ist mit Hierarchien verbunden, denn ersteres setzt dominante Außenwirkung gegenüber den kritisierten Teilen voraus, aus zweiterem würde sogar formale Kontrolle folgen. 
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 +**Die Fördergelderspirale:​ Geld verändert das Denken - meist schleichend** 
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 +Zunächst erscheint alles ganz harmlos: Eine bis dato selbstorganisierte Gruppe stellt einen Förderantrag für eine einzelne Anschaffung oder Aktivität. Alles läuft gut, das Geld kommt, die Abrechnung macht zwar etwas Mühen, aber irgendwie geht auch das. Aber die Sache bleibt im Kopf. Einige Zeit später ist die Idee, noch einmal für eine weitere Sache Fördermittel zu beantragen, viel schneller präsent. Zwei aus der Gruppe haben aber keine Lust, erinnern sie sich doch an den Abrechnungsstress beim ersten Mal. Spezialisierung beginnt. Auch beim zweiten Mal läuft alles glatt, aber ein Teil der Gruppe durchschaut die Abläufe nicht mehr. Danach tritt die erste qualitative Änderung ein. Für eine erneute Beantragung von Geldern muss das geplante Vorhaben leicht abgewandelt werden. Das sei aber nicht entscheidend,​ also passiert auch das. So geht es weiter. Einige Zeit später werden bei der Aktionsplanung zuerst die Förderprogramme durchstöbert. Die Aktionen entstehen entlang dem, wofür es Geld gibt. Diejenigen, die das nervte, sind längst nicht mehr dabei. Das Angebot an Fördermitteln wird zum zentralen Gestaltungselement der Gruppe, die Abrechnungen kosten immer mehr Zeit. Aus kreativem Aktivismus wird verkrampfter Abrechneritis. 
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 +**Unterschiede und Zurichtungen der Beteiligten werden in jede Gruppe eingeschleppt** 
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 +Menschen wachsen unterschiedlich auf. Materielle Bedingungen,​ sozialer Status, Zugang zu Bildung und Möglichkeiten,​ familiäre Verhältnisse und vieles mehr prägen jede Person auf eine Weise, die einerseits die Individualität,​ andererseits aber die Gefangenheit in dieser Zurichtung erschaffen. Kommen Menschen zu einer Gruppe zusammen, bringen sie diese spezifische Formung mit und verhalten sich, solange nicht mit Methoden der Selbstorganisierung,​ des Hierarchieabbaus und der Förderung von Gleichberechtigung,​ Kreativität und Streitkultur gegengesteuert wird, dieser Vorprägung entsprechend. Neigung zu dominantem oder unterwürfigen,​ fordernden oder vorsichtigem,​ integrierenden oder forcierendem Auftreten schaffen ein Gefälle innerhalb der Gruppe. 
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 +**Funktionär*innen und Apparate entstehen (auch) durch äußere Erwartungen** 
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 +Selbst wenn eine Gruppe sehr bedacht und kreativ mit dem Problem interner Hierarchien umgeht und diese erfolgreich abbauen kann, werden von außen Anforderungen gestellt, die immer wieder Ungleichheiten produzieren. Denn viele Anfragen von Behörden, Medien, Kooperationspartnern und anderen zielen auf verantwortliche Personen oder solche mit besonderen Befugnisse, z.B. für eine Gruppe als Gesamtheit sprechen zu können. Werden solche äußeren Einflüsse nicht energisch und kreativ abgewiesen, setzen sie Ungleichheiten durch, z.B. die unterschiedliche Wirkung von Äußerungen verschiedener Gruppenmitglieder gegenüber Presse oder Politik. 
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 +**Nicht die Handelnden sind Arschlöcher,​ sondern die Verhältnisse erschaffen Eliten** 
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 +Viele Hierarchien entstehen durch die formalen oder von außen herangetragenen Anforderungen an eine Gruppe, andere basieren auf den unterschiedlichen Zurichtungen der Beteiligten. All diese sind nicht die Schuld der jeweils Agierenden. Eliten entstehen aufgrund von Verhältnissen,​ in denen sie gebraucht werden für das Funktionieren eines auf Hierarchien aufbauenden Systems gesellschaftlicher Kontrolle, Macht- und Ressourcenverteilung. Dumm ist nur, wenn der Gruppe dieses nicht bewusst ist oder verdrängt wird, weil davon ausgegangen wird, dass bei gutem Willen und einem freundschaftlichen Verhältnis aller Beteiligten zueinander die Zurichtungen und Anforderungen von außen nicht durchschlagen. Es macht keinen Sinn, Menschen individuell für die Entstehung von Hierarchien verantwortlich zu machen. Es wäre aber schlicht dumm, die Sache auf die leichte Schulter zu nehmen. 
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 +**Die Existenz privilegierter Handlungsmittel fördern selbst deren Anwendung** 
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 +Die Entscheidung in Gruppen, Organisationen oder Bewegungen, bestimmten Personen besondere Handlungsbefugnisse oder –möglichkeiten einzuräumen,​ schafft nicht nur die bereits in dieser Entscheidung liegenden hierarchischen Momente, sondern diese werden sich in der Folgezeit selbst verstärken. Denn – das ist simple Herrschaftstheorie – die Anwendung der Privilegien zur Umsetzung eigener Ziele ist schlicht funktional. Wer besondere Möglichkeiten wie den Zugriff auf finanzielle oder materielle Ressourcen, Kontakte zu Medien oder Kooperationspartner*innen,​ Adressenlisten oder Meinungsbildungsprozesse hat, wäre schlicht blöd, diese nicht für die eigenen Ziele zu nutzen. Durch jede Anwendung eines Mittels, welches andere nicht haben, steigt aber der Abstand zu den Nicht-Privilegierten. Da das Handeln der Privilegierten zudem immer stärker die Nutzung der förderlichen Mittel zum integralen Bestandteil hat, wird der Erhalt oder sogar die Steigerung dieser zum Ziel der Privilegierten.  
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 +**Apparate entwickeln automatisch ein Denken zum Selbsterhalt** 
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 +Die Wiederwahl von Vorständen,​ die Durchsetzungskraft eines Verbandes und die Weiterbeschäftigung von Hauptamtlichen sind davon abhängig, dass die Bedingungen,​ die die entsprechenden Personen in ihre Position gebracht haben, erhalten bleiben oder sogar ausgebaut werden. So wünschen sich Hauptamtliche mehr Lohn oder zumindest eine Ausrichtung der Organisationsstrategien auf sichere Spenden- oder Fördermitteleinnahmen,​ bessere Arbeitsmittel oder eine Vergrößerung der Hauptamtlichen. Vorständler*innen wünschen sich mehr Gestaltungsmacht des Vorstandes, Fachwarte die Ausdehnung ihrer Handlungsoptionen. Herrschaft ist immer und überall ein sich selbst verstärkender Prozess – auch in politischen Bewegungen. 
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 +**Gegenkultur ist entweder erfolglos oder wird assimiliert - beeinflussbar ist, zu welchem Preis** 
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 +Gegenkultur meint nicht die Nische am Rande der Hauptkultur,​ sondern eine, die die hegemoniale Kultur herausfordert,​ sie hinterfragt,​ demaskiert, mit ihr bricht und so als Ziel oder Aspekt hat, die geltenden Diskurse zu verschieben. Insofern kann eine gegenkulturelle Orientierung den Einfluss der Hauptkultur auf Strategien, Inhalte und interne Verhältnisse reduzieren. Beenden kann die den allerdings nicht. Denn Haupt- und Gegenkultur stehen in einem dynamischen Verhältnis zueinander, in marxistischer Analyse könnte mensch auch sagen: Ihr Verhältnis zueinander ist dialektisch. Sie brauchen sich und reiben sich aneinander, aber fressen sich am Ende gegenseitig auf. Dabei ist die Hauptkultur überlegen, muss aber meist einige Federn lassen. Die Gegenkultur wird am Ende zerschlagen oder, weit häufiger, aufgesogen, dabei verwandelt und in die Gesamtstruktur integriert, die sich aber jetzt nach Wehrhaftigkeit der Gegenkultur zu diesem Zweck und durch die Integration mehr oder weniger wandelt, oft modernisiert. Gegenkulturelles Agieren kann nur auf Dauer die Re-Installierung von Normen und Strukturen aus der umgebenden Gesellschaft verhindern, wenn sie sich stets als gegenkulturelle Kraft erneuert, also inhaltliche weiterentwickelt,​ neue Impulse setzt, neue Kämpfe beginnt und dadurch eine neue eigenständige Position behauptet, wenn das ursprüngliche Anliegen aufgesogen und somit zum Teil der Hauptkultur wird. Das Aufgesogenwerden unter maximaler Veränderung der Hauptkultur ist also einerseits das unumgängliche Ende jeder erfolgreichen politischen Aktion, andererseits aber auch deren Ziel, weil mehr nicht zu erreichen ist. Um selbst als gegenkulturelle Kraft erhalten zu bleiben, muss dann vom aufgesogenen Thema abgelassen und ein neuer Impuls gesetzt werden. 
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 +**Es gibt kein richtiges politisches Engagement im Falschen** 
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 +Der Spruch, aus dem dieser Satz abgeleitet ist, ist so alt wie richtig. Er soll aufzeigen, dass es kein Entfliehen aus eigener Zurichtung und den äußeren Einflüssen gibt. Möglich ist aber, die eigenen Handlungsspielräume zu erweitern, äußere Einflüsse zurückzudrängen und die Folgen aus den eigenen Zurichtungen abzubauen. Politische Aktion und Organisierung ist daher immer die Reibung an Verhältnissen und Vorprägungen – unter Anerkennung,​ dass diese nicht vollständig ausgeschaltet werden können, aber sehr wohl als Ziel sinnvoll ist, dieses maximal zu versuchen. 
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 +**NGOs und Bewegungsagenturen sind Firmen – Presse- und (Email)Adressenverteiler sind ihr Kapital** 
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 +Wer Verbandsinteressen in den Vordergrund stellt, handelt wie andere, die Marken bekannter machen wollen. Wer ständig unter Druck steht, Geldeinnahmen zu akquirieren,​ wird seine Handlungsstrategien darauf ausrichten. Wer in diesen und anderen Fällen mit Konkurrent*innen um Fördermittel,​ Spenden und öffentliche Aufmerksamkeit ringt, wird versuchen, sich Vorteile zu verschaffen gegenüber anderen. Damit greifen die kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten. Das Kapital muss vermehrt und die exklusive Nutzung gegenüber anderen gesichert werden – am besten als Monopol. Das Kapital von NGOs und Bewegungsagenturen,​ also ihre Mittel zur Mehrung von Geld und Aufmerksamkeit,​ sind Adressverteiler,​ Spenderkarteien,​ Kontakte zu gesellschaftlichen Eliten wie Medien, Politik und Geldvergabestellen usw. Diese mit anderen zu teilen, würde die politische Arbeit wirksamer machen. Sie für sich zu horten, bringt dem Verband als Selbstzweck Vorteile. Letzteres ist die übliche Ausrichtung. Politische Organisation in NGOs und Bewegungsagenturen ist Handeln in der Logik von Firmen. Es gelten die Prinzipien des Kapitalismus. 
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 +{{workhsops:​hierarchnie_workshop_flyer.pdf|Flyer zum Workshop ​vom 26.-28.6.2020 in der Projektwerkstatt Saasen}}
workshop_hierarchien.txt · Zuletzt geändert: 2020-06-10 19:37 von pwsaasen