In allen Orten Mittelhessens, besonders in den drei großen Städten, ist der Pendler*innenanteil hoch und nimmt ständig zu. Hinzu kommt ein starker Trend, aus der Peripherie in die Stadt oder deren unmittelbare Umgebung zu ziehen. All das bedeutet ständig neue Flächenversiegelung einschließlich des Baus der Verkehrsinfrastruktur. Ländliche Räume laufen leer, die letzte Infrastruktur dort wird abgebaut – ein sich selbst verstärkender Prozess.
Trotz aller Gelübde, mit dem Boden schonend umzugehen, werden neue Gewerbegebiete ausgewiesen, die nicht nur weitere Fläche unter Beton und Gebäuden verschwinden lassen, sondern stets auch neuen Verkehr erzeugen. Eine Wende kann nur sehr grundsätzlich ausfallen. Mini-Veränderungen wie hier mal ein Stück Radweg und da eine schönere Bushaltestelle oder ein Car-Sharing-Auto oder … sind eher Kosmetik, deren propagandistische Aufblähung oft umgekehrt proportional zur Wirkung steht. Während bei Flächenversiegelung und Ausbau der auf den motorisierten Individualverkehr abzielenden Infrastruktur (Parkhäuser, Ladesäulen usw.) plus Förderung des Autokaufs geklotzt wird, bleibt das Ringen um Verbesserungen für ÖPNV, mehr, bessere und barrierefreie Fußwege und Fahrradstraßen oft ein Kampf mit den Windmühlen der Bürokratie.
Es braucht große und mutige Entwürfe. Das Argument, diese seien zu aufwändig oder zu teuer, ist oft sogar falsch, in jedem Fall aber ein Hohn angesichts dessen, dass ernsthaft eine Politik des Umbaus der gesamten Infrastruktur und des kompletten Fahrzeugsparks von 50 Millionen PKWs allein in Deutschland plus LKWs usw. auf E-Mobilität betrieben wird. Gegenüber diesem Einsatz von Geld, Rohstoffen und Man-Power ist jede andere Form der Verkehrswende ein Witz. Kollektiv nutzbare Verkehrsmittel sind deutlich weniger aufwändig, sparen Ressourcen und Fläche – und sind im Betrieb effizienter, sowohl im Umgang mit Energie, Material als auch finanziell.
Die folgenden Vorschläge betreffen die regionalen Hauptachsen der beiden für regionale Entfernungen leistungsfähigsten Verkehrsmittel, dem Fahrrad und dem schienengebundenen Personennahverkehr (SPNV). Noch wichtiger werden die lokalen Verhältnisse sein, also attraktive Fahrrad(straßen)netze, Zubringerbuslinien zu den Bahnhaltestellen mit guten Anbindungen auch der entlegenen Ortschaften sowie attraktive Bedingungen für Fußgänger*innen einschließlich Barrierefreiheit. Es ist daher nötig, solche lokalen Verkehrswendepläne parzellenscharf zu entwickeln, in die politische Debatte einzubringen und mit ausdrucksstarken Aktionen dafür zu werben.
Hier folgen jetzt die Vorschläge für überörtliche Verbindungen in Mittelhessen.
Erfahrungen aus Regionen mit guten Fahrradnetzen zeigen, dass Entfernungen bis 10km bei entsprechend attraktiven Wegeverbindungen vorzugsweise mit dem Fahrrad überwunden, aber auch Wege um die 20km noch von vielen bewältigt werden. Folglich lohnen sich regionale Fahrradachsen zu den Hauptzielorten. Diese müssen den Alltagsverkehr abfangen, also schnelle und angenehm zu fahren sein. Das unterscheidet sie von touristisch ausgelegten Verbindungen.
Fahrradstraßenachsen sollen auf bisherigen Autostraßen entstehen – insbesondere dort, wo in einem Tal zwei oder mehr Autoverbindungen parallel laufen. Die bisherigen Straßen werden zu Fahrradstraßen umgewidmet mit „Anlieger frei“ in den Ortschaften. Die Orte sind über die Zufahrten zur parallel verlaufenden Bundesstraße oder Autobahn weiterhin auch mit dem Auto erreichbar, so dass die umzunutzende Straße nicht mehr für den Autoverkehr notwendig ist. Eine zusätzliche Betonierung der Landschaft durch eine neu zu bauende Fahrradtrasse ist überflüssig und aus ökologischen Gründen nicht sinnvoll.
Angesichts der Verkehrsflüsse mit hohem Pendler*innenanteil braucht es mittelhessenweit ein leistungsfähiges Bahnsystem, welches einerseits an überregionale Verbindungen angebunden ist (z.B. ins Rhein-Main-Gebiet), andererseits aber gerade auch die Fläche erschließt, aus der ein großer Anteil des täglichen Pendelverkehrs stammt. Das dafür geeignete Mittel ist die RegioTram, also die Kombination einer Straßenbahn auf eigenen Gleisen in den Stadtgebieten mit der Möglichkeit, auf bestehenden bzw. zu reaktivierenden Bahngleisen in die Umgebung zu fahren. Wir schlagen vor:
Den Verkehr menschenfreundlich, sozial und umweltgerecht zu organisieren, ist die eine Sache – und wichtig. Gleichzeitig braucht es aber auch einer Regionalplanung, die den Zwang zur Mobilität reduziert und Menschen ermöglicht, die für ihr Leben nötigen Einrichtungen in Fuß- und Fahrradentfernung zu erreichen. Wir fordern: